Worst Case Kulturhauptstadt 2024

Titelbild

Der Comic „Worst Case Kulturhauptstadt 2024“ ist ein Rundgang durch eine Kulturhauptstadt, die so auf keinen Fall stattfinden sollte. An realen Orten werden fiktive Events gezeigt, die aktuelle gesellschaftliche Tendenzen widerspiegeln. Ausgehend davon, dass die „…knappste aller Ressourcen die Aufmerksamkeit, die wiederum von der Kategorie Zeit, als der nicht vermehrbaren Ressource abhängig ist“ (S. 86). Daraus folgt, dass die Aufmerksamkeit um jeden Preis generiert werden muss. Je knapper eine Ressource ist, desto eher will man diese haben beziehungsweise um so dringender will man diese erzwingen. Es passiert ein gesellschaftlicher Wandel vom Raum zur Zeit, Raum spielt keine Rolle mehr, man kann von jedem Punkt aus auf alle Informationen zugreifen oder in kurzer Zeit von einem Ort zum nächsten kommen. Die Zeit wird allerdings immer wichtiger. “von der Funktionalität zur Theatralität” (S.88), “von der Sensation zur Megasensation” (S.96) Aufmerksamkeit muss erschaffen werden, je größer desto besser. Eine Stadt muss zu einer Marke, einem Geschehen werden, um wahrgenommen zu werden. “Selbstwahrnehmung erfolgt im Format von Event- und Inszenierung” (S.86) Ein Instrument zur Aufmerksamkeitsgewinnung ist die Eventisierung, dadurch soll ein Wahrnehmungserfolg gewährleistet werden. “Jede Stadt erklärt sich zum Paradies” (S.88) Dieser Aufmerksamkeitsökonomie kann niemand entgehen weder eine Stadt, eine Person noch eine Institution. Die Identität der Städte muss im Mittelpunkt stehen. Oftmals wird eine fiktive Identität verwendet, das heißt die Stadt gibt vor sich zu zeigen, will sich aber gleichzeitig in diesem Akt erschaffen. “…schließlich verschiebt sich auch die individuelle Identitätsbastelei immer stärker von der Zielsetzung, einen adäquaten Selbstausdruck zu finden, zum Vorhaben, eine attraktive, marktgängige Identität zu imaginieren.” (S.89) Man bevorzugt so zu sein wie einen andere gerne hätten, man will eine Identität generieren die sich leicht vermarkten lässt um durch die neue Identität auch der Gefahr als „langweilig“ eingestuft zu werden zu entgehen. Ein Beispiel eines solchen Prozedere ist die Kulturhauptstadt. “Kulturhauptstadt als strategische Waffe im kulturell-ökonomischen Wettrüsten der Städte” (S.90) Die Stadt putzt sich für eine Veranstaltung wie die Kulturhauptstadt heraus, ganze Stadtteile werden neu gebaut beziehungsweise verschönert es soll eine “romantische Verzauberung” (S.90) entstehen. Dies führt zu einer Disneyfizierung der Stadt, wie auch zu einem Verlust der Stadtkultur und der wahren Identität. “Labelling-overkill” (S.96), wer interessiert sich noch für die 72. Kulturhauptstadt? Was passiert wenn alle Städte Kulturhauptstadt waren? Wie kann man sich noch gegenseitig übertreffen? Sodom und Gomorrha als Attraktion? Die Gesellschaft stumpft immer mehr ab, durch die ständige Konfrontation mit Terror und Krieg durch die Medien. Flüchtlingskatastrophen ereignen sich am laufenden Band, es ertrinken 700 Menschen an einem Tag – aber richtig geschockt ist kaum noch jemand. Was kann dann noch schocken? Es soll sich die breite Masse angesprochen fühlen, “… mit Insiderveranstaltungen, etwa aus der Hochkultur, breitere Kreise zu erreichen. Public Viewing ist ein gutes Beispiel” (S.99) Es wird eine permanente Beschallung generiert, man entkommt keiner Information (Film: „Miority Report“, „1984“) “cultural capital, ist gleich Kulturhauptstadt aber auch kulturelles Kapital” (S.97) kulturelles Kapital ist ein Terminus welcher Unterschiede von Klassen, Milieus und Schichten andeutet.

Prischnig, Manfred (2011). Die Kulturhauptstadt als Großevent. In: Betz, Gregor (Hrsg.): Urbane Events. Wiesbaden : VS, Verl. f. Sozialwiss. 2011. S. 85-102

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Simon Übleis-Lang (Technische  Universität Wien – Architektur)
Verena Wohlmacher (Technische  Universität Wien – Architektur)